Menschen und Ihre Orte ein Fotoprojekt von Inga Paas

Menschen und Ihre Orte

Fotoprojekt von Inga Paas

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MENSCHEN UND IHRE ORT
Erläuterungen von Susanne Altmann (Kunsthistorikerin, Dresden)

1. DIE IDEE
2. DER ÖFFENTLICHE RAUM
3. DIE TECHNIK I
4. ZUR PERSON
5. DIE VERWANDTSCHAFTEN
6. DIE PROBANDEN ZUM ORTSTERMIN:Frau S. in Pillnitz - Herr P. vor dem Robotron Gebäude - Frau K. in Gorbitz - Frau M. an der Synagoge - Herr M. am Fernsehturm - Dr. K. vor dem Krematorium - Herr G. am Pieschener Hafen - Herr S. am Dammweg - Herr an der Prießnitzmündung
7. DIE TECHNIK II
8. EPILOG


1. DIE IDEE
Inga Paas hat neun ihrer Mitmenschen eine Gewissenfrage gestellt - die nach ihrem Lieblingsplatz und dem "Hassort" in der Stadt. Damit entwirft sie eine Art mentale Topografie bzw. sie platziert Hinweise, wie und wo sich ein solches psychogeografisches Netzwerk verbergen könnte. Inga Paas legt nicht ihre eigenen "Vermessungskriterien" an, sondern lässt die Standorte festlegen - vielleicht als eine Art kollektiver Automatismus, wenn man bei neun Beteiligten bereits davon sprechen darf. Die Auswahl der Probanden besorgte die Künstlerin natürlich selbst und achtete dabei darauf, dass sie eine gewisse Vielfalt erzeugen konnte: in der Interessenlage, in der Herkunft und im Alter der Befragten.
In Pillnitz, in der Kastanienallee, die zum Schloss führt, hat sich Frau S. aufnehmen lassen. Und obwohl Inga Paas sehr darauf geachtet hat, das Motiv möglichst unkommentiert zu zeigen d.h. also keinen Aufschluss darüber zu geben, ob der jeweilige Ort nun geliebt oder verabscheut wird, trotz dieser Anstrengungen allerdings liegt es bei diesem Pillnitzer Bild auf der Hand, dass Frau S. sich hier sehr wohl fühlt. Selbst ihre etwas elegische Körperhaltung drückt den Genuss der Musikerin an der Harmonie der Umgebung aus.

2. DER ÖFFENTLICHE RAUM
Projekte in öffentlichen Räumen bestehen mehr als andere Kunstwerke aus immateriellen Komponenten. Wer sich auf ein solches Wagnis einlässt, hat meist zunächst die Idee und dann die Möglichkeit, an Eigentumsverhältnissen, Interessenlagen und schließlich an fehlenden Genehmigungen zu scheitern. Über das künstlerische Wollen hinaus ist hier organisatorisches Durchhaltevermögen gefragt. Es lässt die Prozedur parallel zum materiellen Resultat zu einer Studie administrativer und sozialer Befindlichkeiten werden. Im schlechtesten Fall ist es dann nur diese Studie, die im Scheitern zurückbleibt. Nicht so geschehen glücklicherweise im Falle von "Menschen und ihre Orte": Während ihrer Jagd nach Genehmigungen im Sommer und Herbst diesen Jahres stieß Inga Paas sicherlich auf zunächst verwunderte Amtspersonen, die sich dann ausnehmend kooperativ verhielten. Es gab keinerlei Ablehnungen, die Fototafeln mit den Menschen an deren Orten aufzustellen - vielleicht hat das mit dem hohen Identifikationsmöglichkeiten des Projektes zu tun.
Für die Standorte in Gorbitz und am Fernsehturm hatte die Künstlerin interessanterweise einjährige Mietverträge mit der Stadt abzuschließen und entrichtet nun brav 50 Euro an das Liegenschaftsamt. Damit alles seine Ordnung hatte, drohte auch die Notwendigkeit von Baugenehmigungen für die Aufsteller -immerhin beanspruchen diese eine beachtliche Fläche von 0,7 m². Diese Gefahr wurde dann zum Glück abgewendet.

3. DIE TECHNIK I
Es gibt wenig Erfahrungen mit längerfristigen Fotografieprojekten unter freiem Himmel. Eine sehr gute und umweltbeständige Qualität ist gefragt. So wurden die Fotos wurden im bekannten Diasec-Verfahren vorn und hinten mit flüssigen Silikon verklebt. Dadurch sind sie luft- und wasserdicht eingeschlossen. Die digitalen Lambda-Drucke auf Fotopapier garantieren Lichtechtheit für ein Jahr, denn so lange sollen die Tafeln mindestens stehen bleiben.
Inga Paas offeriert eine nahezu klassische Komposition: 2/3 Hintergrund und 1/3 Vordergrund bestimmen das Verhältnis. Eine solche bewusste Bildanlage vollzieht sich fast intuitiv und mit der Sicherheit fotografischer Professionalität.
Am Beispiel von Frau S. im idyllischen Park von Pillnitz enthüllen sich auch formale Ziel: Hier ging es nicht um Postkartenatmosphäre. Nichts stört die Fotografin so sehr wie ein strahlendblauer Himmel, am besten funktioniert flächendeckendes Hellgrau. Das sind meteorologische Voraussetzungen, mit denen Inga Paas Ausgewogenheit und damit eine sachliche Darstellung erzeugen möchte. Durch gleichmäßige Beleuchtung werden scharfe, dramatische Kontraste vermieden und visuelle Objektivität erzeugt. Im Gegenzug verwendet sie dann wiederum sehr farbempfindliches Filmmaterial, das reine Töne garantiert und die optimale Tiefenschärfe der Abzüge.

4. ZUR PERSON
Aus den genannten Wetter-& Lichtgründen fotografiert Inga Paas sehr gerne in Skandinavien wo sich die Himmel häufig verhüllen. Erfahrungen sammelte sie beispielsweise in Norwegen, wo sie 2001 in Bergen am "Street Level"- Projekt teilnahm und später in einer ausgedienten Mine in Fölldal Bewohner fotografierte. Sie schwärmt von den weichen Abstufungen und Zwischentönen, die das natürliche Licht dort ermöglicht.
In Columbus/ Ohio, wohin sie erst vor kurzem (2002) ein Stipendium führte, faszinierten sie zwar die Motive künstlicher Welten aus Kommerz & Glamour – von den Lichtverhältnissen hingegen war sie gar nicht begeistert: Zu wenig Klarheit. Durch die hohe Luftfeuchtigkeit liegt alles wie unter einer Dunstglocke.
Überhaupt mag sie in der Fotografie Präzision, wie sie die Becher-Schule charakterisiert, am meisten und sie begeistert sich für das saubere Licht eines Hans-Christinan Schink, der übrigens auch immer bedecktem Himmel arbeitet: "Der weiche Übergang von Schinks Betonpfeilern geht mir direkt in den Bauch", gesteht sie und damit aktiviert sie unsere Aufmerksamkeit für die Tiefenschärfe großformatiger Fotografien. Inga Paas, die auch als Werbefotografin arbeitet, beklagt die Effekthascherei dieses Geschäfts und preist das Handwerkliche der Fotokunst.

5. DIE VERWANDTSCHAFTEN
Mit ihrer Großformatkamera fordert Inga Paas die zu Porträtierenden zur Session ein. Das Gerät muss aufgebaut und sorgfältig eingerichtet werden. Da es hier nicht um schnelle Schnappschüsse geht, gehen muss, bleibt Zeit zur Kontaktaufnahme. Die Technik erweist sich als vertrauensbildende Maßnahme – ein Effekt, der sich dann auch in der psychologischen Tiefenschärfe der Porträts wiederspiegelt. Eine Synthese zwischen dem klaren Ansatz der meist menschenleeren, kommentarlosen Düsseldorfer Schule und der genauen Beobachtung von Menschen, wie sie beispielsweise der Finne Eskö Männikö so meisterhaft betreibt - diese Synthese zu erreichen, ist erklärtes Ziel von Inga Paas.
Abstraktion und Serialität als Errungenschaften der Fotografie des späten 20. Jahrhunderts sind als Stilmittel höchst wichtig - mit dem Hinzutreten der menschlichen Gestalt eröffnet sich jedoch augenblicklich eine Geschichte, werden Phantasie und Imagination entfacht - und der schon erwähnte Abgleich mit eigenen Erfahrungen.

6. DIE PROBANDEN ZUM ORTSTERMIN:
- Frau S. in Pillnitz - Herr P. vor dem Robotron Gebäude - Frau K. in Gorbitz - Frau M. an der Synagoge - Herr M. am Fernsehturm - Dr. K. vor dem Krematorium - Herr G. am Pieschener Hafen - Herr S. am Dammweg - Herr an der Prießnitzmündung

Die meisten Probanden machen einen durchaus entspannten Eindruck, obwohl der Fototermin nicht ganz leicht für sie war. Inga Paas belichtet relativ lange, bis zu einer Sekunde - um die Tiefenschärfe des Hintergrundes heraus zu modellieren. Der Mensch im Vordergrund darf sich dann nicht mehr rühren und wenn ein Windstoß kommt, so erscheinen winzige, sympathische Unschärfen wie am Kleid von Frau S. in Pillnitz – unkalkulierbare Unschärfen, die daran erinnern, dass wir es nicht mit einer Statue zu tun haben – obwohl in eine klassische Landschaft, versetzt in die absolutistische Achse des Barockgartens hinein komponiert. zum Bild
Ohnehin kommen hier keine Herrschaftsphantasien auf, denn wie selbstbewusst das Modell auch posieren mag – Inga Paas hält die Balance zwischen dem Narrativen des Porträts und dem Monumentalen des Ortes ganz bewusst - auch in den acht anderen Fällen und erklärt: "Ich finde, diese Menschen passen alle an diese Orte"

Wie steht es um Herrn P. den Agenturleiter, der mit der Fassade des Robotron-Gebäudes seinen persönlichen Unort präsentiert?
In provokativer Haltung steht er vor dem Hintergrund aus Betonmodulen, der durch die Wahl des Bildausschnittes durchaus einschüchternd wirkt. Die serielle Struktur hat Dominanz, trotzdem sind Herr P. und die Fassade in ganz ambivalenter Weise gleichberechtigte Partner. zum Bild

Ähnliches ist der Fall mit Frau K. in Gorbitz. Sie hat dieses Viertel nie wirklich gemocht und dennoch musste sie aus familiären Gründen einen Großteil ihres Lebens in den Plattenbauten verbringen. Frau K. hat sicherlich eine andere Meinung zu diesen normierten Siedlungen als jene, die hier kulturhistorische und stadtgestalterischen Bedeutung in der Tradition von Le Corbusier oder Bauhaus sehen. Für Frau K. und mutmaßlich für viele andere Zeitgenossen rufen diese normierten Blöcke noch immer Einiges an Antipathie hervor - als Inkarnation des Gesichtslosen.
Frau K. blickt also auf dem grünen Trockenplatz vor der Hausfassade in die Linse der Kamera und ist froh, dass sie nicht mehr hier lebt. zum Bild

7. DIE TECHNIK II
Das Foto allerdings gibt über diese Befindlichkeit kaum Auskunft: wiederum sachlich und ausgewogen komponiert, focusiert Inga Paas auf eine Umgebung von Monochromie oder serieller Struktur, die die Person hervorheben. Der Blickwinkel der Aufnahmen ist leicht erhöht, je nachdem wie die jeweilige Figur in den Hintergrund eingeordnet wird.
Inga Paas hat sich auch ganz bewusst für ein Normalobjektiv entschieden und verzichtet auf dramatische Perspektiven, wie sie durch Weitwinkel- oder Teleobjektiv hervorgerufen werden.
Die gleiche Absicht steckt auch - wie bereits erwähnt- hinter dem Verzicht auf irgendeine Interpretation durch die Beleuchtung - auch etwas, das Inga Paas an Eskö Männikös Porträts schätzt oder an den kühlen Konterfeis von Rineke Dijkstra.

Vor der neuen Synagoge mit Frau M. wurde diese Stimmung präzise eingefangen - ein dankbares Ambiente für minimalistische Strukturen. Die getönten Betonplatten laufen gleichförmig durch das Querformat des Bildes und davor behauptet sich sehr selbstbewusst die junge Frau M., mit ihrer Abneigung gegen jenes Bauwerk, das in diesem Jahr des Preis für die beste Architektur bekommen hat. Hier sind weder Kommentare noch pathetische Requisiten nötig. zum Bild

Eine solche betont sachliche Perspektive teilt sich auch in dem Motiv Herr M. an einer der prominentesten Brachflächen der Stadt mit - am verwaisten Fernsehturm. Die Ästhetik des Sichtbetons, die Monumentalität der Architektur erinnert definitiv an Hans Christian Schink und an dessen Autobahn-Baustellen. Wäre da nicht Herr M., der dem Motiv eine eigene Wendung gibt! Diese Komposition überrascht auch noch mit einem poetischen Kontrast zu dem mächtigen Betonfuss: im Vordergrund befindet sich eine Art "Kleines Rasenstück", bescheiden und sehr präzise. zum Bild

Vor dem Krematorium in Tolkewitz, einem höchst stimmungsvollen und meditativen Ort ließ sich Dr. K. porträtieren. Als nur eines von zwei Motiven unter neun weist dieses einen ziemlich bewegten Hintergrund auf. Trotzdem gelingt es Inga Paas, die Komposition wieder zu beruhigen - mit Hilfe der Zentralperspektive des Weges und der ruhigen Wasserfläche im Vordergrund. Das flache Becken spiegelt den Bau, wiederholt ihn gleichsam auf einer abstrakten Ebene. zum Bild

Die vergleichsweise kleinteiligste Aufnahme enstand am Pieschner Hafen. Der Lieblingsort von Herrn G. weist die meisten Details und ein gewisses Abweichen vom vorgegebenen Bildprogramm. Ein melancholischer Platz, den Herr G sich erwählt hat. Er posiert auf dem Ausleger eines stillgelegten Lastkranes und es sit gut vorstellbar, dass die Aufstellung der Fototafel hier eine unerwartete Irritation bedeutet - mit fast surrealen Qualitäten, ähnlich vielleicht wie vor der Absperrung am Fernsehtum oder am wild überwachsenen Dammweg, mit Herrn S. als wahrem Verächter dieser Szenerie.
zum Bild

Schließlich, an der Elbe unterhalb des Diakonissenkrankenhaus, inmitten von Schwemmgut, hat sich Herr S. aufgestellt. Auch schon ohne ihn, der besonders im Sommer oft an die Prießnitzmündung kommt, wäre das Bild perfekt mit seiner fast monochromen Struktur und der perspektivischen Weite des kleinen Ausschnitts von Landschaft. Doch Herr S. gehört hierher und wirkt keineswegs verloren.
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8. EPILOG
Inga Paas hat ihre Probanden nicht manipuliert und verleiht ihnen damit einen sicheren Stand. Ihre Meinung ist gefragt. Für die Fotografin, die diesen Zyklus im Eigenauftrag begann, erweist er sich im Kleinen dann als Auftragswerk - von den jeweilig Porträtierten: "Es ist viel schwieriger, wenn man vorgegeben bekommt, wo man ein gutes Foto zu machen hat." sagte sie mir: "Anspruchsvoller, als sich selbst das Motiv zu suchen." Ihre erprobte Methode, Serien zu einem Thema anzulegen, hat Inga Paas auch unter den neuen Bedingungen nicht verlassen. Das Resultat kann jedoch, wie schon in vorhergehenden Projekten, nicht in seiner unmittelbaren Abfolge betrachtet werden. Die Zusammenschau der Standorte hat man sich zu erlaufen: eine Stadterkundung der anderen Art - unspektakulärer und ein wenig mühsamer als herkömmliches Sightseeing.
Die angestrebte mentale Topografie, bedingt auch eine Ausgewogenheit der Orte - trotzdem es nur neun Positionen gibt: da ist der historische Aspekt der Stadt, der uns durch seine Selbstgefälligkeit manchmal schwer im Magen liegt - aber seine eigene ungebremste Verführungskraft hat. Da sind Natur und Landschaft, reflektiert von persönlichen Sehnsüchten. Da gibt es die architektonischen Zeugnisse der jüngsten Vergangenheit, die für jeden von uns mehr als Bauwerke sind - sondern immer wieder eine Haltung herausfordern, Haltungen, die sich in den letzten 13 Jahren mehrfach geändert haben mögen: Gorbitz oder das Robotron-Gebäude. Und es gibt Symptome oder besser Zeichen der allerneuesten Entwicklungen: stillgelegte Hafenanlagen oder die Synagoge am Hasenberg.
Nun könnte man einwenden, wieso es notwendig sei, diese Fotoarbeiten überhaupt in den Außenraum zu setzen? Wäre diese Idee nicht mit einer hübschen Galerieausstellung ebenso effektiv transportiert worden?
Diese Arbeit "Menschen und ihre Orte" besteht jedoch nicht nur aus neun Fotografien. Sie besteht aus den Fotos, aus den Menschen und aus den Orten. Und insofern nimmt Inga Paas" Projekt - wie so viele Unternehmen in öffentlichen Räumen - Markierungen vor. Sie führt uns aktiv an verborgene Orte des urbanen Raumes und sensibilisiert für bislang unbekannte Perspektiven.
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